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Biowerkstoffe 29. Juli 2020

Biopolymer heilt sich selbst in einer Sekunde

Ein biologisch abbaubares, sich selbst heilendes Biopolymer haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme entwickelt.
Ein Loch schließt sich beim neuen Biopolymer von selbst.
Ein Loch schließt sich beim neuen Biopolymer von selbst.

Ein biologisch abbaubares, sich selbst heilendes Biopolymer haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme entwickelt.

Die Entwicklung des neuen weichen Biopolymers, das sich nach einer Beschädigung innerhalb einer Sekunde selbst heilen kann, erfolgte in Zusammenarbeit mit der Pennsylvania State University (PSU) in den USA. Die Moleküle bisheriger verformbarer selbstheilender Materialien brauchen mehrere Stunden oder sogar Tage, um sich wieder miteinander zu verbinden – oft mit geringer Festigkeit an der Stelle, an der sie durchstochen oder zerschnitten wurden. Das neu entwickelte dehnbare biobasierte Polymer stellt jedoch seine Struktur und Eigenschaften im Handumdrehen vollständig wieder her – immer und immer wieder. 

„Das neue Material kann viel schneller heilen, ohne seine Festigkeit zu verlieren. Wir haben es auf verschiedenste Weise beschädigt und jedes Mal hat es sich innerhalb von Sekunden repariert“, sagt Dr. Abdon Pena-Francesch, Erstautor der Publikation „Biosynthetic self-healing materials for soft machines“, die im Fachjournal „Nature Materials“ veröffentlicht wurde.

Dr. Pena-Francesch und seine Co-Autoren Dr. Huihun Jung und Prof. Melik C. Demirel von der PSU und Prof. Metin Sitti, Direktor der Abteilung für Physische Intelligenz am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, ließen sich von der Natur inspirieren. Sie suchten nach einer Vorlage, wie ein solch intelligentes Material gebaut werden könnte. „Unser Ziel war es, mit Hilfe der Synthetischen Biologie ein selbstheilendes, programmierbares Material zu kreieren, dessen physikalische Eigenschaften wir kontrollieren können", sagt Prof. Demirel.

Tintenfischproteinen standen Pate für das Biopolymer

Das Team untersuchte daraufhin die Molekülstruktur und die Aminosäuresequenzen von Tintenfischproteinen. Darauf aufbauend entwickelten sie mit Hilfe des Protein-Engineering das flexible, gummiartige Material. „Wir veränderten die molekulare Struktur so, dass wir die Selbstheilungskräfte des Materials auf die Spitze treiben konnten“, fügt er hinzu. „Wir konnten eine 24-Stunden dauernde Heilungsphase auf eine Sekunde verkürzen.“

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Ein Tintenfisch braucht länger, um zu heilen, da die Protein-Moleküle in seinen Tentakeln nur lückenhaft miteinander verwoben sind. Bei dem im Labor entwickelten Material veränderten die Wissenschaftler die Nanostruktur der Moleküle so, dass sie alle miteinander verbunden sind. „Ein Netzwerk, in dem nur wenige Punkte miteinander verbunden sind, birgt Schwachstellen. Wir aber haben alle Punkte miteinander vernetzt und das Material so verbessert“, erklärt Pena-Francesch. Hinzu kommt: während die Moleküle bisheriger flexibler Materialien permanente Verbindungen haben, die einmal getrennt nicht wieder zusammengefügt werden können, verhält es sich bei dem neuen Bio-Polymer anders. Jede physikalische Verbindung ist reversibel. Verbindungen, die an einer Stelle getrennt wurden, klicken wieder in die richtige Position zurück.

Das Polymer ist außerdem zu 100 % biologisch abbaubar und zu 100 % rezyklierbar und für die gleiche Anwendung wieder einsetzbar.

Anwendungen in der Robotik denkbar

In einem von der Armee finanzierten Projekt wurde ein selbstheilendes Biopolymer entwickelt, das nach dem Muster des Tintenfisch-Ringzahn-Proteins hergestellt wurde und zur Reparatur von Materialien unter sich ständig wiederholenden Bewegungen verwendet werden konnte, wie etwa bei Robotern, Beinprothesen, Ventilatoren und persönlicher Schutzausrüstung wie Schutzanzügen.
In einem von der Armee finanzierten Projekt wurde ein selbstheilendes Biopolymer entwickelt, das nach dem Muster des Tintenfisch-Ringzahn-Proteins hergestellt wurde und zur Reparatur von Materialien unter sich ständig wiederholenden Bewegungen verwendet werden konnte, wie etwa bei Robotern, Beinprothesen, Ventilatoren und persönlicher Schutzausrüstung wie Schutzanzügen.

Selbstheilende weiche Materialien stoßen bei Wissenschaftlern auf zunehmendes Interesse, insbesondere in der Robotik. Dort könnte nämlich der neue Werkstoff den Ausschlag dafür geben, ob Roboter im Alltag tatsächlich eingesetzt werden können. Denn wenn Roboter eines Tages Menschen in sehr dynamischen und unvorhersehbaren Umgebungen unterstützen, sollten sie aus einem weichen und biegbaren Material sein. Das schränkt jedoch die Langlebigkeit und Leistung und somit die praktische Anwendung von Robotern ein. Sekundenschnelle Selbstheilungskräfte könnten dieses Manko ausgleichen. „Selbstreparierende physikalisch intelligente weiche Materialien sind für den Bau robuster und fehlertoleranter Soft-Roboter in naher Zukunft unerlässlich", sagt Prof. Metin Sitti.

Seine Vision ist es, solch selbstreparierenden weichen Biopolymere bei der Erforschung medizinischer Soft-Roboter einzusetzen oder um Robotergreifarme noch besser zu machen. Tests dazu gab es bereits, zum Beispiel wurden verschiedene Objekte damit angehoben. Wenn ein Objekt dann beim Herumtragen den Greifarm beschädigt, könnte er sich leicht selbst heilen. Das Biopolymer mit Selbstheilungskräften könnte zudem bei Schutzkleidung zum Einsatz kommen, so zum Beispiel bei Handschuhen, die sich nach einem Schnitt sofort selbst reparieren können.

US Army sieht große Chancen für den Einsatz

Die US Army als einer der Finanziers des Forschungsprojekts hat bereits konkrete Anwendungsfälle im Auge: „Diese Forschung beleuchtet die Landschaft der Materialeigenschaften, die über Proteine hinausgehen, die in der Natur mit Hilfe von Ansätzen der Synthetischen Biologie existieren“, sagt Dr. Stephanie McElhinny, Programm-Managerin für Biochemie im Army Research Office. „Die schnelle und hochfeste Selbstheilung dieser synthetischen Proteine zeigt das Potenzial dieses Ansatzes, neuartige Materialien für zukünftige Anwendungen in der Armee zu liefern, wie zum Beispiel persönliche Schutzausrüstung oder flexible Roboter, die sich auf engem Raum manövrieren können.“

sk

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