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Ausstellung: Designer pfeifen auf Plastik-Bashing

„Plastik. Die Welt neu denken“ – eine neue Ausstellung im Vitra Design Museum zeichnet ein kritisches, aber differenziertes Bild des Werkstoffs Kunststoff.
Kunststoffblumen, wohin das Auge blickt: Ein Foto aus der Serie „Yiwu Commodity City“ des britischen Fotografen, Filmemachers und Designers Richard John Seymour aus dem Jahr 2015, aufgenommen im weltweit größten Großhandelsmarkt für Kleinwaren in der Welt in Yiwu/China. Seymour zeigt in der Fotoreihe die nicht nachlassende Produktion von Konsumgütern aus Plastik.

„Plastik. Die Welt neu denken“ – eine neue Ausstellung im Vitra Design Museum zeichnet ein kritisches, aber differenziertes Bild des Werkstoffs Kunststoff.

Kein Kunststoff-Bashing, sehr wohl aber einen kritischen, differenzierten Blick auf den Werkstoff zeigt die Ausstellung „Plastik. Die Welt neu denken“, die noch bis zum 4. September 2022 im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zu sehen ist. Das Museum, das als eines der bedeutendsten Museen für Design weltweit gilt, will mit seinen Ausstellungen immer wieder einen Diskurs darüber anregen, welche gesellschaftliche Bedeutung Design heute hat – und dazu gehört auch, Bezüge herzustellen zu Architektur, Kunst und modernen Technologien.

Mit der aktuellen Ausstellung untersucht das Museum die Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Kunststoffen: vom deren rasantem Aufstieg im 20. Jahrhundert über ihre negativen Folgen für die Umwelt bis hin zu Lösungsansätzen für einen nachhaltigeren Umgang mit Plastik. Erst wurde der Werkstoff gefeiert, war er doch Wegbereiter der Wegwerfgesellschaft. In den vergangenen Jahren wurde er verteufelt. Und nun nähert sich das Vitra Design Museum dem Werkstoff – dankenswerterweise – mit einer differenzierten Schau.

Komplexe Zusammenhänge – keine einfache Patentlösung

Im Haushalt ist Kunststoff schon lange nicht mehr wegzudenken – hier das Picknickgeschirr Plack von Jean Pierre Vitracca aus dem Jahr 1977.
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Es geht den Kuratoren besonders darum, die komplexen Zusammenhänge zu veranschaulichen und zu fragen: Wie sind wir in die Abhängigkeit von Kunststoffen geraten? Wo sind sie essenziell und wo können sie reduziert oder ersetzt werden? Und schließlich: Wie können wir Kunststoffe zukünftig intelligenter und nachhaltiger nutzen? Die Verantwortlichen machen dabei deutlich: „Auch wenn sich alle persönlich engagieren, wird es keine einfache Patentlösung geben.“ Eigens für die Ausstellung geführte Interviews mit Designern, Wissenschaftlern und Aktivisten zeigen, wie wichtig bei der Lösung des Plastikproblems die gemeinsame Anstrengung von Politik, Industrie und Forschung ist. Dass BASF und Nike die beiden großen Global Sponsors der Ausstellung sind, ist daher nur konsequent.

Die Ausstellung zeigt: Während die ersten Kunststoffe oft von Tüftlern und einzelnen Erfindern entwickelt wurden, nahm ab den 1920er Jahren mit Firmen wie Dow, Du Pont, Imperial Chemical Industries oder der IG Farben die rasch wachsende petrochemische Industrie eine führende Rolle ein: Die Epoche der „Petromoderne“ hatte begonnen. Die in den 1930er Jahren entstehende Berufsgruppe der Industriedesigner entwickelte die neuen Möglichkeiten des Materials rasch weiter.

Die Ausstellung im Vitra Design Museum zeigt: In den 1960er Jahren rückte das utopische Potential von Kunststoff in den Vordergrund von Designern. Dies spiegelte sich in futuristischen Formen und neuen Wohnkonzepten wider. So gestaltete Eero Aarnio 1963 mit dem Ball Chair eine Privat-Raumkapsel.

Auch der Zweite Weltkrieg trieb die Entwicklung von Kunststoffen voran: Nun wurden Plexiglas für Flugzeugcockpits und Nylon als Material für Fallschirme erstmals in großem Maßstab verarbeitet. Nach 1945 zogen diese Materialien in die Haushalte ein, beispielsweise in Form von Plastikgeschirr und Tupperware, Spielzeug wie den Lego-Bauklötzen, der Barbie-Puppe oder leicht zu reinigenden PVC-Belägen. Gleichzeitig entdeckten Architekten Kunststoff als Baumaterial und 1957 errichtete Monsanto in Disneyland ein „House of the Future“, das komplett aus Plastik bestand.

Mit der zunehmenden Faszination für die Raumfahrt rückte einige Jahre später das utopische Potential von Plastik in den Vordergrund, das sich in futuristischen Formen und neuen Wohnkonzepten widerspiegelte. So gestaltete Eero Aarnio 1963 mit dem „Ball Chair“ eine Privat-Raumkapsel, Gino Sarfattis „Moon Lamp“ verweist 1969 auf die Mondlandung, und das „Toot-a-Loop“, ein Kunststoffarmreif mit eingebautem Radio, war 1971 das erste tragbare Elektrogerät.

Die Plastiktüte als Synonym für die Wegwerfmentalität

Eine weitere Designikone aus Kunststoff ist das Toot-a-Loop von Panasonic: Der Kunststoffarmreif mit eingebautem Radio war 1971 das erste tragbare Elektrogerät.

Etwa zeitgleich begann auch der Siegeszug der Plastiktüte. Von der Verpackungsindustrie befeuert und von Konsumenten bald massenhaft genutzt, wurde die Plastiktüte zum Synonym einer bisher nie dagewesenen Wegwerfmentalität. Durch die Ölkrise 1973 wurde Erdöl als Grundlage für die meisten Kunststoffe kurze Zeit knapp und teuer, doch der Plastikboom wurde dadurch nur kurzfristig gebremst. Während die globale Kunststoffproduktion schon bald wieder Schwung aufnahm, setzten sich Bestrebungen zur Vermeidung von Plastikmüll nur langsam durch. Designer wie Jane Atfield, Bär + Knell oder Enzo Mari zählten in den 1990er-Jahren zu den Ersten, die mit recycelten Kunststoffen arbeiteten.

Wie können wir die weltweite Plastikmüllkrise bewältigen? Welche Rolle kann dabei – neben Industrie, Politik und Konsumenten – das Design spielen? Auch solchen grundsätzlichen Fragen widmet sich die Ausstellung „Plastik. Die Welt neu denken“. Hierzu werden Projekte wie „The Ocean Clean Up“, „Everwave“ und „The Great Bubble Barrier“ vorgestellt, mit deren Hilfe Plastikabfälle aus Flüssen und Weltmeeren gefiltert werden sollen.

Designansätze müssen den Lebenszyklus eines Produkts betrachten

Doch muss eine wirksame Reduktion von Kunststoffabfall schon viel früher einsetzen. Zur Vermeidung unnötiger Verpackungen und Einwegprodukte ist ein Designansatz notwendig, der den gesamten Lebenszyklus eines Produkts berücksichtigt. Ein Beispiel dafür ist der „Rex Chair“ von Ineke Hans aus dem Jahr 2021, den der Hersteller nach Möglichkeit repariert oder recycelt. Anhand der gewöhnlichen Trinkflasche zeigt die Ausstellung überdies, wie ein gutes Zusammenspiel von Infrastrukturmaßnahmen – in diesem Fall Pfandsysteme oder Trinkwasserbrunnen – dazu beitragen kann, das hohe Aufkommen von Einwegplastik zu reduzieren.

Mit eigenem Ausstellungsbereich zum Thema Recycling

Wie Kunststoff neu gedacht werden kann, zeigt die Ausstellung anhand mehrerer Beispiele. In diesem Fall nutzt das britische Start-up Shellworks für Kosmetikbehälter den Biokunststoff Vivomer, der mit Hilfe von Mikroben hergestellt wird.

Ein eigener Ausstellungsbereich ist dem Thema Recycling gewidmet. Hier können die Besucher in einem interaktiv angelegten Raum Recycling-Kreisläufe kennenlernen und anhand des seit 2013 laufenden Projekts „Precious Plastic“ des niederländischen Designers Dave Hakkens erleben, wie wertvoll und inspirierend recycelter Plastik als neuer Rohstoff sein kann. Dass Design Bewusstsein vermitteln und auch auf die so wichtige Veränderung von Gesetzgebung drängen kann, zeigt das Projekt „Flipflopi“ in Kenia. Hierfür wurde ein traditionelles Segelschiff, eine Dau, aus recyceltem Kunststoff gebaut und segelt nun als mobiles Informationszentrum zum Thema Plastikmüll umher.

Ähnlich wie in der Frühzeit der Kunststoffe arbeiten heute wieder viele Forscher und Designer an Materialien, die nicht aus fossilen, sondern aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen und oft als Bioplastik bezeichnet werden. Als Beispiel sind die niederländischen Designer Klarenbeek & Dros sind mit ihrem Remake von Peter Ghyczys „Garden Egg“ aus Algen-basiertem Bioplastik aus dem 3D-Drucker vertreten. Daneben werden Projekte des britischen Start-ups Shellworks vorgestellt, das Mikroorganismen für die Kunststoffproduktion einspannt, sowie der University of Portsmouth und der ETH Zürich, die Enzyme für den biologischen Abbau von Plastik erproben oder entwickeln.

sk

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