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Arburg steigt in digitalen Vertrieb von Spritzgießmaschinen ein

Arburg spürt die Investitionszurückhaltung der Automobilindustrie, plant dennoch weitere Investitionen – und den digitalen Vertrieb von Spritzgießmaschinen.
Gute Stimmung trotz Investitionszurückhaltung der Automobilbranche: Die Arburg-Geschäftsführung mit Marketing-Chef Dr. Christoph Schumacher (links) mit Uvex-Sonnenbrillen, die auf dem Arburg-Messestand produziert werden.

Arburg spürt die Investitionszurückhaltung der Automobilindustrie, plant dennoch weitere Investitionen – und den digitalen Vertrieb von Spritzgießmaschinen.

Trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage auf den Märkten und der Investitionszurückhaltung in der Automobilindustrie präsentierte sich die Geschäftsführung von Arburg am Vorabend der K 2019 in guter Stimmung – und kündigte neue Investitionen und Services im digitalen Bereich an, z.B. den digitalen Vertrieb seiner Spritzgießmaschinen.

Digitaler Vertrieb von Spritzgießmaschinen

Das Highlight bei den Loßburgern ist eine Kombination aus physischer und virtueller Welt: Mit der neuen Kompaktmaschine Allrounder 270 S compact startet das Unternehmen den digitalen Vertrieb seiner Spritzgießmaschinen.

„Das Jahr 2019 scheint für die Kunststoffbranche besonders herausfordernd zu werden“, sagte Michael Hehl, Geschäftsführender Gesellschafter und Sprecher der Geschäftsführung auf der Pressekonferenz am Abend vor dem offiziellen Messestart. Er führt dies zum einen auf die aktuell schwierige wirtschaftliche Situation zurück: „Die Automobilindustrie befindet sich zum Beispiel zurzeit in einem tiefen Wandel und auch die Auswirkungen der globalen und internationalen Handelsauseinandersetzungen sind mittlerweile spürbar“, so Hehl.

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Zum anderen habe sich das Image von Kunststoff als Werkstoffs in der breiten Öffentlichkeit in den vergangenen drei Jahren sehr schnell und deutlich verändert. „Kunststoff wird oftmals viel zu einfach mit Abfall gleichgesetzt und nicht als wichtiger Wertstoff gesehen.“

Investitionszurückhaltung in der Automobilbranche

Digitalisierung ist das große Thema für die Geschäftsführung von Arburg, so will das Unternehmen seine Spritzgießmaschinen zukünftig auch digital vertreiben (v.l.n.r.): Michael Hehl, Juliane Hehl, Gerhard Böhm und Jürgen Boll.

Aus diesen Gründen werde Arburg in diesem Jahr den Rekordumsatz von 2018 – 754 Mio. EUR – „mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erreichen. Alles andere wäre mit Blick auf die allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklungen wohl auch eher überraschend“, betonte Hehl. „Wir spüren einen deutlichen Rückgang bei den Auftragseingängen. Vor allem in der sich im Wandel befindlichen Automobilindustrie wird derzeit wenig bis gar nicht in neue Anlagen investiert.“

Kurzarbeit wie in anderen Unternehmen der Branche gibt es bei Arburg derzeit nicht. Doch befasst sich das Unternehmen durchaus mit den Formalien, um für den möglichen Fall der Fälle gewappnet zu sein. „Wir blicken trotz des derzeit eher schwierigen Umfelds positiv in die Zukunft. Wie bereits in der Vergangenheit erfolgreich praktiziert, investieren wir antizyklisch und zukunftsorientiert in Technologie, Infrastruktur und auch Personal“, so Hehl.

Investitionen am Standort Loßburg

Stichwort Infrastruktur: In Loßburg laufen derzeit verschiedene bauliche Aktivitäten. Zu den Technologie-Tagen 2020 wird zum Beispiel das neue Schulungscenter offiziell eröffnet. Der Bau der neuen Montagehalle für große Allrounder und Turnkey-Anlagen läuft auf Hochtouren. Der Bezug des Erdgeschosses ist planmäßig für die zweite Jahreshälfte 2020 vorgesehen. „Mit diesen großen Investitionen, die jeweils im zweistelligen Euro-Millionen-Bereich liegen, unterstreichen wir wieder einmal die Wichtigkeit des Standorts Loßburg beziehungsweise Deutschland“, so Hehl.

Doch auch international baut Arburg aus: Derzeit wird in den USA die Zentrale der Tochtergesellschaft in Rocky Hill/Connecticut, flächenmäßig um rund 50 % erweitert. Die neue Halle wird unter anderem für den Aufbau und die Abnahmen kompletter Turnkey-Anlagen benötigt – ein Bereich, der auch in den USA immer weiter wächst. In Italien, Arburgs wichtigstem europäischen Markt, verdoppelt der Maschinenbauer derzeit die Fläche auf über 1.900 m². Die neuen Räumlichkeiten werden voraussichtlich bereits Anfang 2020 bezugsfähig sein. Und auch bei der Niederlassung in Frankreich – in der Nähe von Paris – stehen die Zeichen auf Wachstum. Mit einem neuen Gebäude erweitert Arburg die Fläche um rund 25 % auf knapp 1.600 m².

Turnkey-Anlagen sind weiter gefragt

Insgesamt verzeichnet Arburg einen Rückgang der Auftragseingänge hauptsächlich bei weniger komplexen Maschinen. „Unsere technologisch anspruchsvollen Lösungen und Turnkey-Anlagen sind nach wie vor gefragt“, so Hehl. Dies gelte auch für den Freeformer, die Maschine für die additive Fertigung; die Entwicklung in diesem Bereich sei vom Spritzgießmaschinenbereich entkoppelt. Ein Gutes hat die Situation laut Hehl aber: „Die wirtschaftliche Beruhigung sorgt auch für kürzere Lieferzeiten. Das sehen wir durchaus als Chance für neue Geschäfte.“

Neuer Allrounder 270 S compact

Die Lieferzeiten will Arburg auch durch einen neuen digitalen Service verkürzen: Zur K 2019 startet der Vertrieb von Spritzgießmaschinen über das Kundenportal Arburg Xworld – und zwar mit dem neuen hydraulischen Allrounder 270 S compact mit 350 kN Schließkraft. Die Maschine benötigt eine rund 20 % reduzierte Aufstellfläche im Vergleich zum Allrounder 221 K, denn der Schaltschrank ist in den Maschinenständer integriert.

Die neue Maschine eignet sich besonders für Kunden, deren Produktionsfläche limitiert ist oder die den Ersatz kleiner Maschinen planen. Auf der K 2019 wird der Allrounder 270 S compact mit einer Elektronik-Anwendung gezeigt. Er fertigt mit einem 2-fach-Werkzeug in einer Zykluszeit von rund 15 s Steckerleisten aus PBT. Die Bauteile und Angüsse werden über eine Selektiereinheit getrennt.

25 % niedrigere Kosten beim Allrounder 221 K

Kunden können hochgradig standardisierte Maschinen in Arburg Xworld selbst online konfigurieren und bestellen. „Im Vergleich zu hydraulischen Standardmaschinen liegen die Kosten durch die Standardisierung hier rund 25 % niedriger“, erklärte Vertriebsgeschäftsführer Gerhard Böhm. „Mit dieser Online-Maschinenbestellung beschreiten wir in unserer Vertriebsstruktur neue Wege. Es ist für uns ein Startpunkt. Wir können uns vorstellen, dass wir später auch größere und komplexere Maschinen auf diesem Weg vertreiben.“

Insgesamt wurde das Kundenportal Arburg Xworld, das seit März dieses Jahres für Kunden in Deutschland und ab der K-Messe international in 18 Sprachen zur Verfügung steht, deutlich erweitert. Jürgen Boll, Geschäftsführer Finanzen, Controlling, IT, stellte die Highlights auf der Pressekonferenz vor: So liefert die App „MachineDashboard“ Zustandsinformationen und wichtige Kennzahlen zu Maschinen. Der „Shop“ bietet alles für den Einkauf etwa von Ersatzteilen wünschen: Bestellung rund um die Uhr, direkter Zugriff auf Preise, Verfügbarkeiten und Bestellhistorie. Neu ist auch die Apps „Machine Finder“, mit der Kunden durch Eingabe verschiedener Parameter ermitteln können, welcher Allrounder der passende für ihre Anwendung ist. Die App „Virtualcontrol“ dient der die Simulation der Maschinensteuerung, der „Selfservice“ der Analyse und Behebung von Maschinenstörungen und Stillständen – und mit dem „Datadecoder“ lassen sich Parameter eines Maschinendatensatzes lesbar anzeigen.

„In Sachen Digitalisierung zeigen wir in Düsseldorf wichtige Fortschritte“, sagte Juliane Hehl, Geschäftsführende Gesellschafterin Marketing und Technik. „Die Idee der Arburg Xworld steht dabei für noch sehr viel mehr als das gleichnamige Kundenportal.“ Neu im digitalen Produkt- und Service-Spektrum ist neben dem Portal zum Beispiel ein Füllassistent, der in die Gestica-Steuerung integriert ist. Gezeigt wird er auf der Messe auf einem elektrischen Allrounder 570 A im Clamp-Design.

Plastifizierassistent macht Zylinder smart

Hinter dem Plastifizierassistent steckt die Idee, das Zylindermodul „smart“ zu machen. Dank eines darauf integrierten Speicherchips „kennt“ die Maschine ihre Plastifizierung. Der Assistent liest einerseits die Daten des Chips und berechnet daraus automatisch Parameter wie Verweilzeiten und Durchsatz. So lässt sich die Materialaufbereitung schnell bewerten und optimieren. Andererseits beschreibt der Assistent den Chip mit Daten zur Modul- und Prozesshistorie wie zum Beispiel maximale Temperaturen und Betriebsstunden. Das ermöglicht eine zielgerichtete Wartung nach Bedarf (Predictive Maintenance) und verbessert die Fehlersuche für den Service.

Den Füllassistent hat Arburg mit dem Aachener Partner Simcon entwickelt. Mit ihm „kennt“ die Maschine das Spritzteil, das sie produziert. Dazu werden das offline erstellte Simulationsmodell und die Bauteilgeometrie direkt in die Gestica-Steuerung eingelesen und in Echtzeit der Füllgrad des Bauteils in Relation zur aktuellen Schneckenposition als 3D-Grafik animiert. So kann der Maschinenbediener am Gestica-Bildschirm interaktiv die Ergebnisse der offline erstellten Simulation mit dem Füllverhalten des letzten Zyklus vergleichen.

Allrounder werden standardisiert vernetzt

Außerdem wurde die Konnectivität der Allrounder erweitert. Künftig sind alle Allrounder mit einer sogenannten „Basis Connectivity“ ausgestattet. Das heißt, sie verfügen über ein IIoT-Gateway und können so einfach, standardisiert und sicher mit den übergeordneten Software-Tools und Plattformen vernetzt werden. Dabei greift Arburg auf den OPC UA Standard zurück. Auch Arburg-Spritzgießmaschinen im Brownfield lassen sich damit nachrüsten.

So können Daten der Maschinensteuerung für verschiedene Einsatzfälle genutzt werden. Beispielsweise zur Prozessdatensammlung mit dem Scada-System Arburg Turnkey Control Module ATCM, zur Maschinendiagnose über den Arburg Remote Service ARS, zum Produktionsmanagement oder Feinplanung mit dem Arburg Leitrechnersystem ALS oder zur einfachen Produktionsübersicht über das Kundenportal Arburg Xworld.

Sabine Koll

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