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Agile Vergütung – veränderte Gehaltsstruktur

Veränderte Gehaltsstrukturen in agilen Unternehmen und erfolgreichem Gehaltspoker – die agile Vergütung – ergibt sich daraus ein neues Führungsmodell?
Erfolgreiche Gehaltsverhandlung: Ein Mitarbeiter kann vom Team besser bewertet werden, da diese täglich direkt mit ihm zusammenarbeiten. Mit einem neuen Führungsmodell „agile Vergütung“ können sich veränderte Gehaltsstrukturen ergeben.

Veränderte Gehaltsstrukturen in agilen Unternehmen und erfolgreichem Gehaltspoker – die agile Vergütung – ergibt sich daraus ein neues Führungsmodell?

„Agile Unternehmen, agile Teams, agile Methoden – es war eine Frage der Zeit, dass auch die "agile Vergütung" sich zum stark diskutierten Schlagwort entwickelte, doch hinter diesem Ausdruck versteckt sich viel mehr als nur ein reiner Trendbegriff - mit veränderten Rollen der einzelnen Mitarbeiter und neu zusammengesetzten Teams ergeben sich in agilen Unternehmen zwangsläufig auch neue Führungsmodelle und vor allem eine veränderte Führungsverantwortung.

Doch was viele bei dieser Transformation vernachlässigen: Das agile Verständnis bringt auch neue Herausforderungen bei der Leistungsbewertung von Mitarbeitern mit sich. Denn im Hinblick auf den Einsatz in agilen Unternehmen sind die meisten Vergütungssysteme nicht flexibel genug anpassbar und gestalten sich meist noch nach hierarchischen Vorstellungen. Beim agilen Arbeiten sollte deshalb statt der individuellen Leistung, die des Teams im Fokus stehen. Für das Funktionieren der Zusammenarbeit bedarf es deshalb eines Vergütungssystems, das Teamarbeit fördert und die Entstehung von Einzelkämpfer- und Ellbogenmentalitäten verhindert.

Für die Gehaltstruktur braucht es eine Bewertung der Teamleistung

Innerhalb einer agilen Organisation findet die Bewertung der jeweiligen Mitarbeiter nicht mehr auf Basis ihrer persönlichen Leistung und der Erfüllung individueller Zielvereinbarungen statt – vielmehr haben die Arbeitnehmer innerhalb ihrer Teams übergeordnete Ziele für ihre jeweiligen Produkte oder Services im Blick. Somit braucht es auch für die Gehaltsstruktur und -entwicklung eine Bewertung der Teamleistung. Agile Unternehmen benötigen neue Leistungsbeurteilungen, insbesondere dann, wenn es flache Hierarchien und kaum Leitplanken gibt, die den individuellen Beitrag eines Mitarbeiters bewerten könnten. Wie wäre es mal mit einem "Gehaltspoker"?

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Diese Gehaltsverhandlung beruht auf der Idee, dass Teammitglieder den Beitrag ihres Kollegen am besten und vor allem fair beurteilen können. Und das funktioniert so: Strebt ein Mitarbeiter eine Anpassung seines Gehalts an, bestimmt er oder sie eine Gruppe von Kollegen, die in einem gemeinsamen Feedbackgespräch diesen Wunsch besprechen und die Kompetenzen des Mitarbeiters einschätzen. Dabei bewerten sie, ob er sich in den vergangenen Monaten in bestimmten Bereichen leistungstechnisch gesteigert hat. Die direkten Kollegen beurteilen ihn in diesem System, da sie am engsten mit ihm zusammenarbeiten und seinen Beitrag am besten einschätzen können. Das Meeting ist dabei auf eine vorher definierte ‚Timebox‘ beschränkt, damit es nicht zu viel Zeit in Anspruch nimmt, der gesamte Prozess effizient bleibt und die Mitarbeiter sich nicht in endlosen Diskussionen verlieren.

Zweite Diskussionsrunde erzielt oft neue Erkenntnissgewinne

Am Ende der Debatte findet dann der eigentliche Gehaltspoker statt: Alle Kollegen schreiben die aus ihrer Sicht "faire" Gehaltssumme für den Mitarbeiter auf. Aus diesen Zahlen bildet sich dann ein Mittelwert, der das neue Gehalt festlegt. Falls die Zahlen hohe Unterschiede aufweisen, erzielt eine zweite Diskussionsrunde oft neue Erkenntnisgewinne. In zwei Durchläufen kommt die Gruppe dann üblicherweise zu einem Ergebnis. Wenn sich die Gruppe nicht einigt, sollte der Mitarbeiter auch akzeptieren, dass aktuell keine Gehaltsanpassung stattfinden kann. Auch wenn es für viele auf den ersten Blick befremdlich erscheint, solch eine vermeintlich diskrete Angelegenheit mit dem gesamten Team zu besprechen, führt dieser agile Prozess letztendlich jedoch dazu, dass genau die Menschen Leistungen beurteilen, die auch tagtäglich erleben, was ein Arbeitnehmer leistet. Die Verantwortlichen sollten allerdings immer darauf achten, dass nicht zu viele oder voreingenommene Kollegen am Gehaltspoker teilnehmen. Denn je größer die jeweilige Gruppe ausfällt, desto schwieriger gestaltet sich im Anschluss auch das abschließende Feedback.

Auch in Recruitingprozessen kann sich ein solcher Gehaltspoker als hilfreich erweisen. Nach einem Erstgespräch mit dem Recruiter besteht etwa die Möglichkeit, in einem Meeting mit dem zukünftigen Team, sich eine erste Meinung über den Kandidaten zu bilden. Danach bespricht das Team, ob der Bewerber zu ihnen passt und welches Gehalt sie ihm vorschlagen würden. So gestaltet sich bereits der Bewerbungsprozess besonders transparent und nach agilen Grundsätzen.

Neues Führungsmodell geht nicht ohne starke Feedback-Kultur

Das agile Gehaltssystem erweist sich als fair, da es nicht auf der Beurteilung durch eine einzige Person beruht, sondern verschiedene Faktoren berücksichtigt. Damit dieser Prozess allerdings gelingt, ist es wichtig, dass die Strukturen und die Zusammenarbeit des agilen Teams funktionieren – nur dann kann über eine Gehaltsanpassung gesprochen werden. Gleichzeitig bedarf das Ringen um agile Lösungswege und die Weiterentwicklung in einem Team eines entsprechenden Reifegrads der Mitarbeiter sowie einer starken Feedback-Kultur.

Agiles Vergütungssystem Bestandteil eines agilen Mindsets

Zudem noch ein wichtiger Gedanke zum Schluss: Unternehmen, die diese Gehaltsstruktur bei sich etablieren wollen, sollten sich ganz genau überlegen, was sie durch die Neugestaltung erreichen möchten. Denn nach wie vor bildet das Vergütungssystem einen wichtigen Bestandteil zur Bildung eines agilen Mindsets. Wer die Anpassungsfähigkeit erhöhen möchte, sollte auf Detailtiefe und aufwendige Administration verzichten. Wer die Zusammenarbeit fördern will, tut dies nicht unbedingt mit individuellen Zielvereinbarungen. Und wer keine Transparenz schafft, hat keine selbstorganisierten und -verantwortlichen Mitarbeiter.

Thorsten Heintke/ aki

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