Direkt zum Inhalt

Abhängigkeit von China dramatisch gestiegen

Nach Recherchen des IW hat sich der deutsche Außenhandel mit China im Jahr 2022 mit voller Kraft in die falsche Richtung entwickelt.

Obwohl viele Unternehmen ihre Abhängigkeit von China reduzieren wollen, ist nach einer aktuellen IW-Studie das Gegenteil davon eingetreten: Deutschland ist in vor allem in den letzten beiden Jahren noch abhängiger von China als Lieferland geworden.

Die ohnehin hohe Importabhängigkeit Deutschlands von China ist 2022 nochmals deutlich größer geworden. Dagegen wuchs der Export nach China nur schwach. Das führte zu einem Rekord beim Handelsbilanzdefizit, das mit 84 Mrd. EUR sechsmal höher lag als 2019 und in dieser Größenordnung nach Überzeugung des Instituts der deutschen Wirtschaft IW problematisch erscheint.

Problematische Handelsbilanz mit China

Schon im ersten Halbjahr 2022 zeichnete es sich ab, dass sich der Warenhandel mit China ungewöhnlich entwickelt. Das Handelsbilanzdefizit betrug nach Berechnungen des IW allein in den ersten sechs Monaten über 40 Mrd. EUR und war damit außergewöhnlich hoch. „Es stellte sich die Frage, ob nur zeitweilig wirkende Sondereffekte zu dieser Entwicklung beitragen, die in der zweiten Jahreshälfte wieder an Relevanz verlieren würden. Der Wert für das Gesamtjahr 2022 deutet aber darauf hin, dass es sich hier um eine längerfristige Entwicklung handeln könnte. Denn das Handelsbilanzdefizit verdoppelte sich im weiteren Jahresverlauf auf rund 84 Mrd. EUR“, so das IW.

Diese Werte wurden zuvor bei Weitem nie erreicht. Zwar war der Einfuhrüberschuss vor der Corona-Krise im Vergleich mit anderen Ländern bereits hoch. Unter Schwankungen erreichte er im Zeitraum ab 2010 aber maximal 24 Mrd. EUR im Jahr 2010, als sich der deutsche Warenhandel mit China im Rahmen eines Sondereffekts von der globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise erholte. In einzelnen Jahren danach war das Handelsbilanzdefizit zeitweise sogar nur einstellig.

Wie das IW erklärt, sollten Handelsbilanzsalden – wenn sie in einer normalen Größenordnung sind – nicht kritisch gesehen werden. Doch die Höhe und der rapide Anstieg des Handelsbilanzdefizits erscheinen den Wirtschaftswissenschaftlern problematisch: Wenn Deutschland als starke Exportnation bei Einfuhren aus China von 191 Mrd. EUR und Ausfuhren nach China von 107 Mrd. EUR rund 80 % mehr importiert als exportiert, besteht ein starkes Ungleichgewicht. Die Frage ist, ob dahinter nur vorübergehende Krisenwirkungen oder anhaltende chinesische Wettbewerbsverzerrungen stecken.

Ad
Vor allem in den letzten beiden Jahren hat nach der IW-Studie das Handelsbilanzdefizit mit China gewaltig zugenommen.

Divergenz bei Ein- und Ausfuhren

Das Handelsbilanzdefizit mit China wuchs im Jahr 2022 so stark, weil die Warenimporte deutlich zulegten, das Wachstum der Warenexporte dagegen nur gering war. Die Einfuhren aus China stiegen im Jahr 2022 von einem schon hohen Ausgangswert mit 33,5 % um über ein Drittel. Die Importe aus allen Ländern legten mit 24,1 % auch stark zu. Hierzu trugen vor allem höhere Preise bei den Energieimporten bei, die bei der Einfuhr aus China nur eine untergeordnete Rolle spielen. Damit erhöhte sich der Einfuhranteil Chinas an allen Einfuhren weiter von 11,9 % im Jahr 2021 auf 12,8 % in 2022.

Im Jahr 2019 lag diese Quote noch bei 10 %. Der Anteilszuwachs während der Corona-Krise schien nur zeitweilig, da aus China viele medizinische Produkte importiert wurden. Doch statt erwartungsgemäß wieder zurückzugehen, stieg die Quote im Jahr 2022 weiter an. Hier könnte sich unabhängig von der Corona-Krise eine strukturelle längerfristige Tendenz etablieren, so das IW.

Exportanteil China unter den Wert von 2018 gesunken

Die deutschen Ausfuhren nach China entwickelten sich dagegen nur sehr schwach. Sie nahmen im Jahr 2022 lediglich um 3,1 % zu, während die deutschen Exporte in alle Länder mit 14,1 % wesentlich stärker stiegen. Somit sank der Exportanteil Chinas auf nur noch 6,8 % – und lag damit sogar unter dem Wert von 2018.

Auch hier gab es während der Corona-Krise, als sich China im Jahr 2020 schneller erholte als andere Länder, einen Anteilsanstieg. Dieser erwies sich jedoch – anders als bei den Importen – als temporär. China fällt mit dieser schwachen Ausfuhrentwicklung sogar von Rang 2 auf Rang 4 der wichtigsten deutschen Exportpartner.

Temporäre oder dauerhafte Effekte?

Wie das IW erklärt, fällt es aus derzeitiger Perspektive nicht leicht, die ungewöhnliche Außenhandelsentwicklung zu bewerten.

Einerseits könnte sie auf temporäre Sondereffekte zurückzuführen sein. Immerhin war China im Jahr 2022 im Zuge der Corona-Krise von gravierenden Lockdowns betroffen. Erst am Jahresende kam es unvermittelt zum Schwenk von einer Zero-Covid-Politik zu einer Zero-Caution-Politik. In der Folge wird Chinas Wirtschaft, die im vergangenen Jahr nur mit rund 3 % wuchs, wieder etwas stärker Fahrt aufnehmen.

Dies könnte nach Überzeugung des IW dazu beitragen, dass der Importdruck in Deutschland im Vergleich zu 2022 etwas abnimmt, weil chinesische Firmen stärker auf den Weltmarkt drängen, wenn die heimische Wirtschaft schwächelt. Wenn in diesem Jahr wieder mehr in China selbst verkauft werden kann, wird möglicherweise weniger nach Deutschland exportiert.

Andererseits könnten auf der Importseite auch dauerhafte Faktoren wirken und weiter Bestand haben. Chinas Wirtschaft bietet günstig an – auch weil dort umfassend subventioniert wird. Wenn hierzulande der Wettbewerbsdruck wegen der anhaltend hohen Energiepreise steigt und die Margen der deutschen Firmen schrumpfen, wachsen die Anreize, billigere chinesische Vorprodukte statt teurere europäische oder deutsche zu kaufen.

China konnte von Lieferengpässen profitieren

Einzelne Unternehmensbeispiele deuten laut IW zudem darauf hin, dass chinesische Lieferanten auch deshalb gegenüber deutschen zum Zuge kamen, weil sie weniger von Lieferproblemen betroffen waren. Die Lieferkettenengpässe dürften zwar nicht dauerhaft sein, aber wenn einmal ein Wechsel des Lieferanten erfolgt ist und dessen Leistung stimmt, dürfte es für das deutsche Unternehmen schwer werden, den deutschen Kunden wieder zurückzugewinnen. Wie weit solche Einzelbeispiele zu verallgemeinern sind, ist derzeit kaum zu sagen, so das IW.

Auch die schwache Entwicklung der deutschen China-Ausfuhren könnte temporäre Gründe haben, zum Beispiel durch die Auswirkungen der Corona- oder Energiekrise. Zudem schwanken die Veränderungsraten der China-Exporte üblicherweise nennenswert. Doch auch hier sind dauerhaft wirkende Faktoren nicht auszuschließen.

Politischer Druck der chinesischen Regierung hat Folgen

Nach Überzeugung des IW tragen vor allem zwei Gründe hierzu bei:

Deutsche Tochterunternehmen in China wollen zunehmend mehr Geschäftstätigkeiten nach China verlagern. Das gilt auch für die Zuliefer- und Vorleistungsebene in China, auf die deutsche Firmen in ihren Exporten stark ausgerichtet sind. Hier übt die chinesische Regierung zudem politischen Druck darauf aus, dass deutsche Firmen stärker chinesische Unternehmen als Lieferanten einbinden, um so auch den Transfer von Wissen und Technologie zu beschleunigen. Sollten deutsche Firmen den chinesischen Markt tatsächlich weniger durch Exporte, sondern mehr durch Produktion vor Ort bedienen, würde sich das für sich genommen in einer anhaltend schwächeren Exportentwicklung niederschlagen.

Ganz generell wirkt die chinesische Wirtschaftsstrategie mittelfristig darauf hin, weniger zu importieren. Die Dual-Circulation-Strategie und die Made-in-China-2025-Strategie haben das explizite Ziel, China autarker zu machen. Setzt die chinesische Führung diese Ziele erfolgreich um, beeinträchtigt dies zukünftig deutsche Exportmöglichkeiten.

Möglicherweise signalisieren die Daten von 2022, dass diese beiden Faktoren zu wirken beginnen – und in Zukunft auch anhalten werden. Für das IW ist es aber noch zu früh, hier eindeutige Schlüsse zu ziehen.

Konkurrenzdruck und Abhängigkeit gestiegen

Eindeutig sei jedoch, dass der hohe Importanstieg im Jahr 2022 zum einen den Konkurrenzdruck für deutsche Unternehmen, die mit chinesischen Firmen im Wettbewerb stehen, erhöht hat. Inwieweit dies zusätzlich zu den Belastungen der deutschen Wirtschaft durch Energiekrise und Lieferkettenengpässe ins Gewicht fällt, sei derzeit schwer zu beurteilen.

Zum anderen mache der Importsog Deutschland noch abhängiger von China als Lieferanten. Die China-Strategie der Bundesregierung dürfte sehr wahrscheinlich unter anderem die Kernforderung enthalten, aufgrund gestiegener geopolitischer Unsicherheiten kritische Abhängigkeiten zu verringern. In der Tat geben auch viele Unternehmen an, dass sie ihre China-Abhängigkeiten verringern wollen. Die Zahlen sprechen derzeit allerdings eine andere Sprache, so das IW. gk

Passend zu diesem Artikel