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1.500-Tonnen-Brücke hängt an CFK-Seilen

Außergewöhnlicher Brückenschlag in Stuttgart: Anfang Mai wurde die erste große Brücke, die vollständig an CFK-Seilen hängt, über die Autobahn A8 geschoben.
Die Stuttgarter Netzwerk-Bogenbrücke hängt an CFK-Seilen.

Außergewöhnlicher Brückenschlag in Stuttgart: Anfang Mai wurde die erste große Brücke, die vollständig an CFK-Seilen hängt, über die Autobahn A8 geschoben.

Eine 127 m lange, 1.500 t schwere Eisenbahnbrücke, deren 72 Hängeseile komplett aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK) bestehen, wurde kürzlich über die Autobahn A8 bei Stuttgart geschoben. Der Brückenbogen und die Fahrbahnplatte wurden in den vergangenen Monaten direkt neben der Autobahn hergestellt.

Die filigrane Netzwerk-Bogenbrücke besteht aus zwei parallelen Stahlbögen und der an CFK-Hängern aus der Schweiz abgehängten Betonfahrbahnplatte. Zu dem 1.500 t Gewicht der Brücke tragen die 72 wie filigrane Spinnfäden wirkenden CFK-Hänger der Schweizer Firma Carbo-Link mit lediglich 1.675 kg jedoch kaum etwas bei.

CFK-Seile in der Schweiz entwickelt

Das ultraleichte und trotzdem enorm stabile CFK-Compound, das für die Seile verwendet wird, wurde maßgeblich an der Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in der Schweiz entwickelt und kommt seither in immer mehr Bauwerken zum Einsatz. Die Seile selbst werden von Carbo-Link, einem Spin-off der Empa, gefertigt.

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Ein seltener Brückentyp

Seinen Anfang nahm das Projekt bereits 2012, als das Ingenieurbüro Schlaich Bergermann Partner (sbp) aus Stuttgart den Wettbewerb für die Autobahnüberquerung der Stadtbahnlinie U6 mit ihrer eleganten Netzwerk-Bogenbrücke gewann. Im Gegensatz zu einer klassischen Stabbogenbrücke mit vertikalen Hängern überkreuzen sich die schräg angeordneten Hänger, und es entsteht der Eindruck eines feinen Seilnetzes.

Eine Netzwerk-Bogenbrücke wirkt statisch wie ein Fachwerkträger, sie ist im Vergleich zu Stabbogenbrücken mit vertikalen Hängern steifer. Das heißt, die Durchbiegung unter Verkehrslast ist geringer. Dies ist besonders für Eisenbahnbrücken von Bedeutung: Sind die Durchbiegungen unter der Last eines Zugs zu groß, verkrümmen sich die Schienen.

Trotz dieses Vorteils wurden bisher nur wenige Brücken dieses Typus realisiert, da es mit den Stahlhängern verschiedene Probleme gab, vor allem bezüglich Ermüdung.

Die Lösung: Seile aus CFK

Ausschlaggebend war schließlich eine Idee von Lorenz Haspel aus dem sbp-Team, die Stahlseile durch vorgespannte CFK-Hänger zu ersetzen. Zum Erstaunen aller ließen sich die Kosten dadurch sogar senken. Doch im Gegensatz zu Stahlseilen waren CFK-Seile noch kein Massenprodukt.

In Deutschland ist für neue Bauprodukte eine bauaufsichtliche Zulassung erforderlich. Eine solche zu erlangen, insbesondere für ein völlig neues Produkt, wie es CFK-Hänger darstellten, ist in der Regel zeitintensiv und teuer. Für die Stuttgarter Stadtbahnbrücke standen aber weder Geld noch Zeit zur Verfügung. Eine „Zustimmung im Einzelfall“ war die einzige Chance.

An drei Prototypen führte hierzu ein Empa-Team um Masoud Motavalli und Robert Widmann die erforderlichen mechanischen Experimente durch. Für die Empa-Forscher war die Thematik nicht neu, beschäftigten sie sich doch bereits seit den 1980er-Jahren mit der Entwicklung von CFK-Zuggliedern für den Brückenbau.

100 Jahre Nutzung in wenigen Monaten simulieren

Die wichtigste Aufgabe bestand darin, an den CFK-Hängern innerhalb weniger Monate 100 Jahre Bahnbetrieb zu simulieren. Dies entspricht einer Beanspruchung von mehr als 11 Mio. Überfahrten. Die Aufgabe der Empa-Gutachter bestand nun darin, die umfangreichen Daten zu analysieren und zu bewerten. Neben den Ermüdungseigenschaften mussten sie auch Themen wie Witterungsbeständigkeit, Blitzschlag, Brand, Einfluss elektrischer und magnetischer Felder sowie Vandalismus berücksichtigen.

Investition für CFK-Seile günstiger als erwartet

Nun wurde die weltweit erste große Brücke, die vollständig an CFK-Zuggliedern hängt, errichtet. Vor allem die für die CFK-Variante geringeren Erstinvestitionskosten im Vergleich zur Stahlvariante hat die Fachwelt überrascht, denn in bisherigen Brückenprojekten, die nicht durch Forschungsfördergelder unterstützt wurden, hatten CFK-Zugglieder gegenüber Stahl kommerziell keine Chance.

Doch das Anforderungsprofil für Hänger von Netzwerk-Bogenbrücken ist wie maßgeschneidert für den Werkstoff CFK. So beträgt die Querschnittsfläche der CFK-Hänger nur ein Viertel dessen, was für Hänger aus Stahl erforderlich wäre – ein wichtiger Grund für die Wirtschaftlichkeit des neuen Werkstoffes. Mitte April erfolgte der Einbau der 72 CFK-Hänger. Dieser konnte, aufgrund des geringen Gewichtes, ohne Kran und mit lediglich drei Bauarbeitern durchgeführt werden.

Es dürfte für CFK-Zugseile aber noch weitere Nischen geben, in denen sie gegenüber Stahl nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich konkurrenzfähig sind. Ein Beispiel sind die enorm langen Seile weit gespannter Schrägseilbrücken in Asien.

mg

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